Was wurde sie verflucht und verschrien, die Nations League. Doch spätestens das diesjährige Final Four zeigt: Dieser Wettbewerb hat ausschließlich Gewinner. Ein Kommentar.
Aus der MHP-Arena in Stuttgart berichtet Michael Bojkov
Kritiker würden behaupten, die Einführung der Nations League 2018 markierte den Startpunkt eines Aufblähwettlaufs im Weltfußball. Und sie haben damit nicht einmal ganz unrecht. Für die UEFA bedeutete die Gründung des Wettbewerbs in erster Linie vollere Kassen. Für die Nationalverbände auch, schließlich verkauft sich ein Turnier mit Pokal und Preisgeldern besser als ein Testspiel. Aus Sicht vieler Fans war die Nations League dagegen nicht mehr als ein besser gekleideter Freundschaftskick – und die Kommerzialisierung im Fußball ist, zumindest der aktiven Fanszene in Deutschland, ohnehin ein Dorn im Auge. Welt- und Europameisterschaften sind Usus und das absolute Highlight eines jeden Fußballliebhabers. Wofür brauchte es jetzt also diese Nations League?
Die Nations League musste ihre Freunde selbst suchen
Der Mehrwert wurde schnell erkannt: Den Nationalverbänden eröffnete sich neben besagten Mehreinnahmen die Möglichkeit, sich unter Pflichtspielbedingungen nicht nur auf das nächste große Turnier vorzubereiten, sondern sich sogar direkt über die Nations League für dieses zu qualifizieren. Für die Spieler ein vielfacher zusätzlicher Ansporn. Und auch der kritische Fan erkannte irgendwann, dass dieses Turnier mehr als ein mit Glanz und Geld aufpolierter Platzhalterwettbewerb ist. Das Final Four der diesjährigen Ausgabe beweist endgültig: Die Nations League kann richtig Spaß machen! Und dabei sind Spiel um Platz drei und das Finale noch nicht einmal gespielt.
Neun-Tore-Spektakel: Spanien und Frankreich rühren die Werbetrommel
Schon die erste Halbfinalpaarung zwischen Deutschland und Portugal (1:2) hielt die eine oder andere Geschichte bereit. So leitete der eingewechselte Francisco Conceicao per Traumtor zum 1:1 die Wende ein. Cristiano Ronaldo vollendete diese mit dem 2:1, bescherte seiner Nation damit den Finaleinzug und sich selbst das erste Tor sowie den ersten Sieg überhaupt gegen Deutschland.
Das wahre Spektakel fand dann tags darauf zwischen Frankreich und Spanien statt. 5:4. Neun Tore! Angetrieben von einer Spielfreude des amtierenden Europameisters, die Erinnerungen an die goldene Generation um Andres Iniesta, Xavi und Co. weckte, entwickelte sich in der Stuttgarter MHP-Arena ein wahrhaftiges Schützenfest. Vor allem Lamine Yamal wusste abermals zu glänzen, leitete das 1:0 stark ein, bewies bei seinem Elfmeter zum 3:0 die Coolness eines Altstars und beim 5:1 stibitzte der Youngster seinem Gegner die Kugel, um dann selbst abzuschließen und seinen Doppelpack zu schnüren. Dass Yamal Weltfußballer wird, ist nur eine Frage der Zeit.

Doch nicht nur der 17-Jährige wusste zu glänzen. Es war die Gesamtheit an spielerischer Klasse, die im spanischen Kader steckt und den rund 50.000 Zuschauern in der Stuttgarter Arena ein Unterhaltungsprogramm für das Langzeitgedächtnis bot. Sei es ein Nico Williams, der immer wieder Dampf machte und sich mit dem Führungstreffer belohnte, Mikel Merino, der mit Technik und Spielintelligenz das 2:0 nachlegte oder ein Pedri, der mit perfekter Einleitung, Ballmitnahme und Tor beim 4:0 glänzte. Bei der Selección: Fußballerische Eleganz, soweit das Auge reicht.
Auch Frankreichs Comeback spricht für die Nations League
Hochglanz bei Gegner Frankreich findet man zumindest auf dem Aufstellungsbogen, das ist garantiert. Und an diesem Abend lieferte die Équipe Tricolore auch in Sachen Dramaturgie eine Partie, an die man sich noch lange zurückerinnern wird. 5:1 führte Spanien mit Anbruch der Schlussviertelstunde, für den normalmenschlichen Verstand war das Halbfinale im Grunde entschieden. Doch mit einer unglaublichen Widerstandsfähigkeit, individueller Klasse aus der zweiten Garde und zugegebenermaßen auch der Mithilfe einer etwas schlafmützigen spanischen Hintermannschaft gelang Les Blues beinahe eines der größten Comebacks der Fußballgeschichte. Drei Tore holte der je zweifache Welt- und Europameister zwischen Minute 79 und 93 auf, dem Last-Minute-Ausgleich war man zum Greifen nah.
Der Lucky Punch blieb am Ende aus. Und doch zeugt diese Aufholjagd nach einer Klubsaison von teils bis zu 60 Pflichtspielen nicht nur von fußballerischer Klasse und einer unbändigen Mentalität der Spieler, sondern auch vom Prestige, das sich dieser Wettbewerb in den letzten Jahren selbst erarbeitet hat.
Die Nations League ist eben mehr als ein ausgeschmücktes Freundschaftsturnier. Weitaus mehr, wie sich spätestens am Donnerstagabend in Stuttgart zeigte. Und ein Gewinn für alle Beteiligten. Für den Veranstalter, die Nationalverbände und die Fans. Wer den Fußball liebt und am kommenden Sonntag Zeit hat, wird im Stadion sein oder zu Hause den Fernseher einschalten.